Waldorflehre


Die Waldorfpädagogik wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf anthroposophischer Grundlage von Rudolf Steiner entwickelt. Die Waldorfpädagogik orientiert sich an den Entwicklungsschritten des Menschen, die sich in Sieben-Jahres-Rhythmen vollziehen. Im Kindergarten arbeiten wir mit Kindern bis zum siebten Lebensjahr, d.h. im ersten Jahrsiebt.

Im ersten Jahrsiebt finden große und weitreichende Entwicklungen beim Kind statt. Diese Entwicklungen zu erkennen, zu fördern und zu unterstützen ist uns sehr wichtig. Wir teilen die Kinder in altersgemäße Gruppen ein, denn nur dort kann sich das Kind gut entfalten. Unterschieden wird in die Krippengruppe (1 bis 2 Jahre), die Kleinkindgruppe (2 bis 3 Jahre) und die Kindergartenkinder (3 bis 7 Jahre).

Doch zunächst „Grundsätzliches“:

Die Waldorfpädagogik hat drei Hauptbestandteile, welche sind:
1. Rhythmus und Wiederholung
2. Vorbild und Nachahmung
3. Sinneslehre

In allen lebendigen Vorgängen finden sich Rhythmen: Atem, Herzschlag, Tag und Nacht, Wechsel der Jahreszeiten. Rhythmus ist die Wiederholung des Ähnlichen – flexibel, niemals starr. Das Kind braucht für seine gesunde Entwicklung Rhythmus und Wiederholung.
Daher ist der Tag im Waldorfkindergarten immer geregelt. Es gibt einen Wechsel der Ruhe und Aktivität. Freispiel, Reigen, gemeinsame Mahlzeiten, Märchenkreis, Eurythmie und andere Aktivitäten kehren in immer der gleichen Abfolge im Tages- und Wochenrhythmus wieder. Für das Kind wird so die Welt berechenbar. Es weiß, was passiert und ist sicher in seiner Umgebung. Das Kind vertieft so sein Erleben und seine Eindrücke und fühlt dadurch Geborgenheit.

Das Jahr erhält seine zeitliche Ordnung durch die Jahreszeiten und die Jahresfeste. Im Kindergarten orientieren sich verschiedene Arbeiten, Lieder, Reigenspiele und Geschichten am Jahreslauf. Die Jahresfeste sind Höhepunkte im Kindergartenalltag. Durch die jährliche Wiederholung begegnet das Kind Vertrautem, und es lernt unbewusst, unterschiedliche Tätigkeiten, Erlebnisse und Stimmungen in den großen Jahresrhythmus einzuordnen. All das wirkt stärkend und stabilisierend auf die Lebenskräfte des Kindes und unterstützt heilsam seine Entwicklung.


Nachahmung

Als Nachahmung bezeichnet die Waldorfpädagogik die Fähigkeit des Kindes, sich ganz mit seiner Umgebung und mit den ihm anvertrauten Menschen zu verbinden. Nachahmung vollzieht sich unbewusst. Alles was das Kind mit seinen Sinnen aus der Umgebung aufnimmt wirkt auf das Kind: Menschen mit seinen Tätigkeiten und Gedanken, Farben, das Spielmaterial, die Einrichtung, usw.
Die Erzieher/innen versuchen daher an jedem Tag Vorbild für die Kinder zu sein, indem sie sinnvolle, notwendige, durchschaubare und durchdachte Tätigkeiten verrichten. Ganz unbewusst eignet sich so das Kind motorische, soziale und gedankliche Fähigkeiten an. Das Kind geht so den Weg vom handelnden Wesen, das erst probiert ehe es versteht, zum bewusst handelnden Menschen.


Sinneslehre

Im anthroposophischen Menschenbild kennen wir zwölf Sinne:
untere Sinne: Lebenssinn, Bewegungssinn, Gleichgewichtssinn, Tastsinn
mittlere Sinne: Geruchssinn, Geschmackssinn, Sehsinn, Wärmesinn
obere Sinne: Hörsinn, Wortsinn, Gedankensinn, Ich-Sinn

Durch seine Sinne nimmt der Mensch die Welt wahr. Er erfäht von der Welt und er erfährt von sich selbst im Verhältnis zur Welt. Unsere Sinne sind unserer Tore zur Welt! Kinder erleben Sinneseindrücke viel stärker als Erwachsene, da sie allem offen und vertrauensvoll hingegeben sind. Daher ist die Qualtität der Sinneseindrücke, welche wir an die Kinder herantragen, von besonders großer Bedeutung. Alle Eindrücke, die das Kind mit seinen Sinnen wahrnimmt, wirken unmittelbar in das Kind hinein. Im ersten Jahrsiebt, der Zeit der intensivsten Leibes- und Organbildung des Menschen, werden durch eine reiche und gesunde Sinnespflege die kindlichen Organe besser ausdifferenziert und entsprechen gesund entwickelt. Eine Verarmung der Sinnespflege bei Kindern bewirkt andererseits, das sich das Verhältnis zum eigenen Körper verändert (z.B. Nervosität, Konzentrationsstörungen, …) Durch eine positive Sinnenspflege wird der Mensch insgesamt in seiner Persönlickeit gestärkt.

Ein Beispiel dafür ist das jährliche Adventsgärtlein. Die Eltern geben die Kinder bei ihren Erzieher/innen ab, gehen leise in den Eurythmieraum und setzen sich auf die linke Seite. Der Raum ist abgedunkelt und in der Mitte brennt eine große Kerze, umgeben von Zweigen, Steinen und Blumen.Eine Spirale von Tannenzweigen beschreibt den Weg zur Kerze.Dann kommen die Kinder singend von einer Erzieherin angeführt in den Raum, begeben sich auf die rechte Seite und nehmen auf ihren Stühlen Platz.Die Erzieherin sagt einen Spruch auf und geht als Erste in die Spirale. Nacheinander gehen die Kinder zur Erzieherin, bekommen dort einen Apfel, in dem eine Kerze eingesteckt ist und gehen durch die Spirale zur großen Kerze, entzünden ihre kleine Apfelkerze und stellen diese an vorgezeichnete Plätze in der Spirale.

So wird mit jedem Kind die Spirale und der Raum heller und heller. Alles vollzieht sich in Stille und Ruhe. Nur der Klang einer Leier ist zu hören. Wenn ein Kind sich nicht alleine in die Spirale traut, wird es von der Erzieherin begleitet (nicht geführt!).

Es ist ein bewegendes Erlebnis den Aufbau, den Ablauf, die Erzieher/innen und – vor allem – die Kinder zu betrachten. Alles was im oberen Abschnitt theoretisch angesprochen wurde, kommt hier zum Tragen. Jedes Jahr zur selben Zeit ist das Adventsgärtlein. Der Ablauf ist immer gleich. Doch ist es für jedes Kind ein großes Erlebnis durch die Spirale zur Kerze zu gehen und die eigene Kerze zu entzünden und abzustellen. Wenn man sich die Bewegungen anschaut und in die Augen der Kinder blickt, sieht man wie die Kinder alles ungefiltert in sich eindringen lassen und alles ganz tief erleben. Wenn ein Kind nicht alleine gehen will, wird es von der Erzieherin begleitet, d.h. sie läuft hinter dem Kind her und hält (wenn überhaupt) die Hand leicht an der Schulter. Das Kind wird nicht geführt, es wird ihm kein anderes Tempo oder andere Richtung vorgegeben, sondern es wird behütet und beschützt in seinem Tun.

Viele Eltern sind tief berührt und einigen kommen jedes Jahr immer wieder die Tränen, weil es eben ein so tiefes Erleben ist. Um ein wieviel Tieferes nehmen es wohl unsere Kinder auf und tragen es mit sich?

Und so haben unsere Kinder jeden Tag, jede Woche, jeden Monat immer wieder neue, beglückende, tiefe Sinneserfahrungen.

Und an dieser Stelle sei allen unseren Erzieherinnen und Erziehern gedankt, die dies immer wieder durch ihr Vorbild und ihren Einsatz möglich machen. Danke!