Eine Ostergeschichte

Der Ostermond

Seit dem Frühlingsanfang waren die Tage endlich länger als die Nächte, aber draußen herrschte eisige Kälte. Das spürte auch das kleine Häschen im Walde. Eines Morgens, als es in seinem Moosbettchen erwachte, fror es so sehr, dass ihm das Fell am Leibe zitterte. Es sprang zur Mutter, die gerade dabei war, Farben anzurühren. „Mir ist so kalt“, klagte das Hasenkind. „Wird es denn gar nicht wärmer?“ „Warte noch ein Weilchen, bis es Ostern wird“, sagte die Mutter. „Wann wird denn Ostern?“ fragte das Häslein. Die Osterhasenmutter wusste:

 

„Erst wenn der volle Mond erwacht
und so rund wie die Sonne lacht,
kann es hier auf Erden
wieder Ostern werden.“

Osterhasenvater saß draußen unter einem dichten Busch. Er hatte eine kleine Feder und pinselte damit Eier an. Das Hasenkind hüpfte herbei und staunte: „Sind das schöne Eier! Warum malst du sie so bunt an?“ „Für Ostern, dann werden sie für die Kinder versteckt.“Oh, da möchte ich auch gerne mithelfen! Wann ist denn Ostern?“ Der Vater antwortete:

„Erst wenn der volle Mond erwacht
und so rund wie die Sonne lacht,
kann es hier auf Erden
wieder Ostern werden.“

Das Häschen hatte schon manchmal den Mond gesehen, wenn es abends mit den Eltern zur Waldlichtung hoppeln durfte, aber es hatte niemals bemerkt, dass er nicht immer gleich aussah. Es wollte gleich aus dem Dickicht heraushupfen, um nach dem Mond zu sehen. Freudig sprang es durch das feuchte braune Laub. Dabei schreckte es einen Igel auf, der noch nicht lange aus dem Winterschlaf erwacht war. „Ich friere so sehr“, rief der kleine stachelige Geselle. „Weißt du nicht, wann es wärmer wird?“ „Wenn Ostern kommt, dann wird es wärmer“, sagte das Hasenkind. „Wann ist denn Ostern?“

„Erst wenn der volle Mond erwacht
und so rund wie die Sonne lacht,
kann es hier auf Erden
wieder Ostern werden.“

wusste das Häschen und hoppelte davon. Bald bemerkte es einen Kuckuck. Der hatte den ganzen Winter in einem warmen Lande verbracht. Nun saß er mit aufgeplustertem Federkleid auf einem Ast und zitterte: „Ich bin wohl zu früh heimgekehrt“, piepste er, «“weißt du nicht, wann es wärmer wird?“ „Wenn Ostern kommt, dann wird es wärmer“, erwiderte der kleine Hase. „Wann ist denn Ostern?“

„Erst wenn der volle Mond erwacht
und so rund wie die Sonne lacht,
kann es hier auf Erden
wieder Ostern werden.“

rief das Häschen und hüpfte weiter bis zum Waldesrand. Dort sah es, wie die große runde Sonne gerade hinter den Bergen unterging. Es hoppelte hinaus auf die Wiese und suchte den Mond. Soviel es auch Ausschau halten mochte, es konnte ihn nicht entdecken. Erst als es dunkelte, war ein schmales silbernes Horn am Himmel zu erkennen. Da kam eine Nachteule herbeigeflogen „Was tust du denn hier?“ wollte sie wissen.Müssen kleine Hasen nicht schon längst schlafen?“ „Ich will sehen, wann der Mond rund wird“, antwortete das Hasenkind. „Hu, hu“, lachte der Nachtvogel, „heute Nacht wird er nicht rund und morgen auch nicht. Warum willst du das denn sehen?“ „Weil ich wissen will, wann Ostern wird.“ „Wann ist denn Ostern?“

„Erst wenn der volle Mond erwacht
und so rund wie die Sonne lacht,
kann es hier auf Erden
wieder Ostern werden.“

antwortete das Häschen. „Es dauert noch viele Tage bis der volle Mond scheint. Jeden Abend nimmt er ein kleines Stückchen zu“, wusste die Eule. Das Hasenkind bedankte sich und kehrte nach Hause zurück. An den nächsten Abenden kam es wieder zur selben Stelle, um zum Himmel zu sehen. Es bemerkte, dass die Eule recht hatte. Von Mal zu Mal leuchtete der Mond dicker am Himmel, bis er eines Abends ganz rund war. Da sprang das Häschen fröhlich nach Hause und rief: „Heute scheint der Mond so rund wie die Sonne! Wird nun Ostern sein?“ „Ja“, sagte der Hasenvater, „auch die Menschenkinder haben schon lange gewartet. Sie haben viele Nester gebaut. Du darfst uns helfen, die Eier zu verstecken.“

Aus dem Jahreszeitenbuch von Christiane Kutik.